Deutsch-Chinesisches Dialogforum
2023

Scor


Von Beruf „chinesischer” Rapper

Mein Beruf in China: Rapper – auf Chinesisch. Chinesische Rap-Fans kennen mich unter dem Namen „Scor奥熙”, entweder durch meine viralen Musikvideos oder durch die beliebte Castingsendung „Rap for Youth” (chinesisch: 说唱新世代).

Das erste Mal in China war ich vor 10 Jahren. Dazu kam es aber ungeplant. In meiner Jugend lernte ich zwar gerne Sprachen, Chinesisch war aber keine davon. Ich liebte Französisch, denn ich mochte französischen Rap. Seit ich 13 Jahre alt bin, rappe ich auf Deutsch. Dann auch auf Französisch. Direkt nach dem Abitur zog ich nach Frankreich. Dort hatte ich mehr yuanfen (缘分) mit Chinesen als Franzosen. Ich lernte sie im Sprachkurs kennen und durch sie die authentisch chinesische Küche kennen und lieben.

Als ich dann vor dem Studium noch ein halbes Jahr zu überbrücken hatte, fiel die Entscheidung nicht schwer, nach China zu reisen. Die Neugier war groß.

Es folgte das Studium in Wirtschaftskommunikation in Berlin. In meiner Freizeit lernte ich Chinesisch, meist im Selbststudium. Und nach einem Jahr konnte ich mich als relativ fließend bezeichnen. Zu dieser Zeit (2013) fing ich auch an, chinesischen Rap zu hören und zu lieben. Aber erst 2018 versuchte ich mich an einem komplett chinesischen Rap. Vorher hatte ich nur ab und zu ein wenig Chinesisch testweise in die Musik eingebaut.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich anderthalb Jahre in Shanghai im Rahmen des China-Stipendiums der Studienstiftung des deutschen Volkes hinter mir. Außerdem hatte ich mein Studium in Berlin abgeschlossen und arbeitete bereits ein Jahr in der Marketing-Abteilung einer chinesischen Großfirma in Shenzhen.

Chinesischer Rap, den ich nun schon seit 5 Jahren verfolgt hatte, war seit einem Jahr aus dem Untergrund zum Mainstream geworden – geschuldet der Fernsehsendung „Rap of China“ von 2017. Ich sage „geschuldet“, weil diese Sendung Rap stark kommerzialisiert hatte, anstatt über die Hip-Hop Kultur zu informieren, die ihre eigenen sehr freiheitlichen Werte und Normen hat. So kam es, dass plötzlich jede Firma in China, die etwas auf sich hielt, chinesische Rapper für Werbevideos engagierte. Dies wäre in Deutschland und dem Mutterland des Raps, den Vereinigten Staaten von Amerika, ziemlich verpönt.

So kam es jedoch, dass auch meine Kollegin aus dem Marketing mich fragte: „Sag mal, du bist doch auch Rapper. Warum machst du nicht einen Rap für unsere Firma?”

Aus diesem einen Satz wurde dann mein erstes eigenes Projekt in der Firma – und auch mein letztes. Ich schrieb ohne Hilfe einen chinesischen Werberap, nahm diesen auf und mischte ihn selbst. Wegen mangelnden Budgets produzierte ich das passende Musikvideo mit einem befreundeten Videographen zusammen. Das Musikvideo wurde auf allen Kanälen der Firma veröffentlicht. Ich hatte selbstständig für eine Fortune 500 Firma einen Werberap mit Video produziert. Motiviert von diesem ersten Erfolg, entschloss ich mich all-in zu gehen, kündigte, und machte mich selbstständig.

Ohne Werbebudget und ohne Verbindungen in die Szene konnte ich mich nur durch soziale Medien bewerben. Mein Hauptfokus lag auf der Youtube-ähnlichen chinesischen Plattform Bilibili. Diese eignete sich gut für Musikvideos.

Aber der Erfolg wollte sich nicht einstellen. So lebte ich etwa zwei Jahre in Armut. Ich wohnte in einer 10 Quadratmeter großen Bruchbude in einem Stadtdorf (城中村 chengzhongcun – Dörfer, um die sich eine Stadt entwickelt hat, ähnlich zu Slums) und ernährte mich von höchstens einer Mahlzeit am Tag, für umgerechnet weniger als 1,50 Euro. Auf Bilibili verdient man an seinen Klicks 10-mal weniger als auf Youtube. Wo andere in Europa 2000-3000€ pro Monat verdient hätten, waren es bei mir 200-300€. Das musste reichen …

2020, die Pandemie hatte gerade begonnen, kam dann der Umbruch bzw. mein Durchbruch.
Nach einer depressiven Phase, da ich oft, wie von den Behörden empfohlen, zu Hause geblieben war, kam eine sehr kreative und produktive Phase. Diese half mir die Einsamkeit und Depression zu überwinden. Und in dieser Zeit landete ich meinen ersten viralen Hit. Ich disste (dissen: In Rapform jemanden kritisieren) einen anderen Ausländer in China, einen russischen Staatsbürger, der auf dem chinesischen TikTok (Douyin 抖音) unter dem Namen 伏拉夫 mit Phrasen wie „Ich liebe China” und „Ich bin ein Chinese“ dem chinesischen Volk so richtig – auf gut Deutsch – in den Arsch kroch. Alles war geschauspielert und falsch, nur für Geld.

Mein Lied „Fortune Code” (chinesisch: 财富密码), in dem ich ihn dafür an den Pranger stellte, ging viral.

Plötzlich hatte ich genug Klicks, dass ich mir einen besseren Lebensstil erlauben konnte. Ich ging in einen Adidas-Laden und kaufte mir echte Markensocken. Ich hätte fast geheult! Dann folgten neue Schuhe, gleich zwei Paar!

Plötzlich hatte ich viele Fans und wurde immer öfter auf der Straße erkannt. Und auch ein berühmter chinesischer Regisseur wurde auf mich aufmerksam…

Es folgte die Teilnahme an der Castingshow „Rap for Youth“. Diese stellte sich als die beliebteste Sendung Chinas im Jahr 2020 heraus, mit hunderten Millionen Klicks pro Folge.

Wir lebten während der Dreharbeiten mit 40 Rappern im Big Brother-Stil in einem Filmstudio zusammen. Tag und Nacht wurde gefilmt. Ich war der einzige Ausländer.

Schon 2018 hatte ich Anfeindungen aus der chinesischen Rapszene erlebt: „Ausländer nicht willkommen, das ist unser Markt!” Auf diese Grundstimmung antwortete ich schon damals mit dem Musikvideo „Not Yellow Enough“ (不够黄), in dem ich kritisierte, dass im chinesischen Rap die Ethnie des Rappers anscheinend eine Rolle spielt.

Während der Dreharbeiten kam ich dann in den Genuss, solche Anfeindungen auch offline zu erleben. Eine Massenschlägerei konnte dank des Sicherheitspersonals nur knapp vermieden werden.

Für mich gehört so eine feindliche Einstellung nicht zur Hip-Hop Kultur. Aber das ist leider nicht bei jedem chinesischen Rapper angekommen. So einige verlassen sich lieber auf ihre Vorurteile, als mit mir ein Gespräch zu führen. Diejenigen, die sich allerdings auf ein Gespräch eingelassen und auch meine Musik dann gehört hatten, haben seitdem nie mehr ein Problem gehabt. Im Gegenteil, mir hat jeder seinen Respekt ausgesprochen.

Nach Ausstrahlung dieser Sendung folgte noch mehr Ruhm. Ich war bekannt in der Szene. Aber es folgte durch die negativen Erfahrungen auch eine Depression. Ich beschloss 2021 ein Album zu produzieren und mich dafür etwas aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

Ich merkte auch, dass ich an einem Punkt angekommen war, an dem es schwer war, weiter als Künstler zu wachsen, ohne sich anzupassen – an den Mainstream und an die Regeln von oben. Nein, ich möchte nicht wie ein K-Pop Idol aussehen und positiven Blümchen-Rap machen. Meine Texte sprechen soziale Missstände an und bleiben kontrovers. Das Album sollte ein letztes Werk sein, das ich der Szene hinterlasse.

Seit 2022 konzentriere ich mich darauf, ein zweites Standbein aufzubauen. Ich möchte unabhängig vom chinesischen Musikmarkt werden. Ich möchte in den Handel einsteigen und auch auf den deutschen Musikmarkt – mit China-bezogenen Themen.

Ich habe in über sieben Jahren in China sehr viel gelernt. Da ich eine Person des öffentlichen Lebens bin, habe ich kuriose Verbindungen knöpfen können. Ich habe unter anderem die Möglichkeit gehabt, meine Kritik gegenüber chinesischen Botschaftern und anderen Menschen mit Verbindungen in die Politik zu äußern. Dabei bleibe ich respektvoll, aber auch ehrlich.

Es gibt viele Missverständnisse, die vor allem die westliche Welt gegenüber China hat. Und in meinen Augen ist Chinas Aufklärungsstrategie die falsche. Ein veraltetes Modell von Propaganda erzeugt beim westlichen Publikum das gegenteilige Ergebnis: Man glaubt den Hochglanzbildern nicht – die Einstellung des westlichen Publikums gegenüber China wird dadurch immer negativer.

Gleichzeitig beobachte ich, wie westliche und vor allem deutsche Medien leider oft zu undifferenziert über China berichten. Klar, es gibt vieles, was die Politik falsch macht, aber vieles macht sie auch richtig. Und das Volk wird leider auch oft mit der Politik in einen Topf geworfen.

Öffentlich-rechtliche Kanäle berichten oft über negativ bewertete Maßnahmen seitens der Politik, ohne die Hintergründe richtig einzuordnen. Diese werden meist nur mit einem Nebensatz genannt. Oft ist nicht zu erkennen, ob gezielt Auslassung betrieben wird, oder ob es an Recherche seitens der Journalisten mangelt.

Auf von diesen gleichen Sendern betriebenen Kanälen auf sozialen Medien entsteht der Eindruck, hier seien nur Praktikanten für Inhalte verantwortlich. So werden „Fakten“ über China und seine Kultur gepostet, von denen teilweise nur eines stimmt.

Für Menschen im Westen ist also Nachhilfe angesagt. Sie müssen mehr über das echte China lernen.

Und China?

China sollte mehr von dem echten China zeigen. Ich empfehle immer wieder eine Strategie der kreativen Öffnung, ohne Einschränkungen von oben für die Kunst.

Viele von uns sind sehr gut informiert über die Gräueltaten der Regierung der Vereinigten Staaten. Trotzdem möchte jeder gerne mal hin und das Land erleben, was man schon in so vielen Medien gefühlt „ungefiltert“ gesehen hat.

Auch die negativen Seiten zeigen: Das würde Sympathie schaffen. Aber leider sind es oft die in die Jahre gekommenen „Vorgesetzten”, die jungen Angestellten in den Medienhäusern Chinas einen Strich durch die Rechnung machen.

Auf TikTok versuche ich seit ein paar Monaten meinen eigenen kleinen Beitrag zu leisten und mache nun auch deutsche Inhalte (@scor.aoxi). Ich erzähle von meinem Leben in China. Ich zeige das wahre Leben. Ich nenne Dinge wie sie sind, stelle sie in einen Kontext und lasse das Publikum selbst eine Meinung bilden, anstatt meine vorzugeben.

In diesem Sinne. Auf weitere 50 Jahre Freundschaft. Auf bessere Kommunikation zwischen den Ländern.


Über den Autor



 

Scor, 1989 in Bremerhaven geboren, fing 2003 an zu rappen. Nach seinem Abitur, gefolgt von einem Umzug nach Paris, veröffentlichte er 2009 sein erstes Soloalbum auf Deutsch. Von 2014 bis 2016 hielt er sich im Rahmen des China-Stipendiums der Studienstiftung des deutschen Volkes in Shanghai auf, schloss sodann sein Studium in Berlin ab und arbeitete von 2017 bis 2018 in der Marketing-Abteilung einer chinesischen Großfirma in Shenzhen. Seit 2018 ist Scor als Rapper selbständig.

2020 gelingt ihm mit „Fortune Code“ ein viraler Durchbruch. Im selbigen Jahr nimmt er an der „Rap for Youth"-Rap-Castingsendung teil. 2021 gründet er seine eigene Firma in Shenzhen, „Ti'an International". Seit 2022 produziert er auch erfolgreich Videos auf TikTok, in denen er Einblicke in sein Leben in China gibt.