Deutsch-Chinesisches Dialogforum
2023

Margarete Bause


Wir müssen reden

Dialogerfahrungen

Meinen ersten “Dialog” mit einem Vertreter der chinesischen Regierung hatte ich im Herbst 2006. Zu dieser Zeit war ich Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag und wunderte mich, dass der chinesische Generalkonsul in München dringend um ein Gespräch bat. Als er schließlich in meinem Büro saß, hielt er sich nicht lang mit diplomatischen Floskeln auf, sondern kam umgehend zur Sache: Er wisse, dass ich eine Einladung zur Jahresversammlung des Weltkongresses der Uiguren hätte, die im November 2006 in München stattfinden sollte. Eindringlich forderte er mich auf, dieser Versammlung fernzubleiben, ansonsten würden die guten bayerisch-chinesischen Beziehungen empfindlichen Schaden nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie etwas über die Uiguren gehört und auch die erwähnte Einladung war mir im Stapel der unerledigten Post bislang nicht aufgefallen. Als ich ihn irritiert fragte, woher er denn wissen könne, welche Einladungen ich erhielte, lächelte er nur und meinte “Wir haben unsere eigenen Informationskanäle”. Ungefragt er klärte er mir, dass die Uiguren allesamt Terroristen seien und untermauerte seine Behauptung mit einem Dossier, das er vor mich auf den Tisch legte. Im Stil von Fahndungsaufrufen waren dort mehrere uigurische Persönlichkeiten mit ihnen zur Last gelegten angeblichen Verbrechen aufgelistet, ganz obenauf das Portrait von Dolkun Isa, dem heutigen Präsidenten des uigurischen Weltkongresses.

Diese erste Begegnung mit der heute als „Wolf Warrior Diplomacy“ bekannten Vorgehensweise chinesischer Diplomaten - ich sollte später noch häufiger Bekanntschaft damit machen - hatte einen nachhaltigen Effekt auf meine politische Arbeit. Nachdem ich den Generalkonsul wegen Spionageverdachts angezeigt hatte, begann ich mich intensiv mit dem Schicksal der Uiguren und der Menschenrechtssituation in China zu beschäftigen und unterstützte die uigurische Exil-Gemeinde in ihren Bemühungen, die Öffentlichkeit über die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu informieren.

Einige Jahre später, es war im November 2014, hatte ich ein weiteres prägendes Erlebnis, das mein China-Interesse noch einmal verstärkte. Bei einer Delegationsreise mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer in die Volksrepublik China hatte ich – abseits des offiziellen Programms - die Gelegenheit, den weltbekannten Künstler Ai Weiwei kennenzulernen, der sich zu dieser Zeit in Peking im Hausarrest befand. Ob es denn überhaupt etwas nütze, wenn westliche Politiker:innen bei ihren Gesprächen mit chinesischen Offiziellen das Thema Menschenrechte ansprechen, wollte ich von ihm wissen. Und er antwortete klar und eindeutig: „Es ist die einzige Hoffnung, die wir haben. Dass Ihr, die Ihr das Glück habt, in Freiheit zu leben, uns nicht vergesst. Dass Ihr unsere Namen bei jeder Gelegenheit ansprecht und unsere Schicksale öffentlich macht. Dass Ihr eure eigenen Werte ernst nehmt und danach handelt.“

Diese Perspektive, die Perspektive der Opfer, der Unterdrückten, der Menschenrechtsverteidigerinnen und Demokratie-Aktivisten hat seither meine Beschäftigung mit China geprägt und meine Dialogpartner:innen bestimmt. Es sind diejenigen, die sonst keine Stimme haben, deren Schicksal totgeschwiegen, deren Rechte missachtet, deren Freiheitswunsch niedergeknüppelt, deren Kultur zerstört wird. Seien es die Studierenden in Hongkong, die chinesischen Dissidenten in Berlin, die Vertreter:innen der uigurischen und der tibetischen Community, die Zeuginnen und Zeugen der Menschenrechtsrechtsverbrechen in Xinjiang.

Als Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Menschenrechtsausschuss von 2017 bis 2021 boten sich mir hier vielfältige Möglichkeiten und ein großes Betätigungsfeld. Gleichzeitig konnte ich erneut Erfahrungen mit den offiziellen Vertreterinnen und Vertretern der KP Chinas und ihrem Verständnis von Dialog sammeln. Als der Bundestag Ende 2018 auf meine Initiative hin erstmals über die schweren Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang diskutieren sollte, meldete sich wenige Stunden vor der Debatte die chinesische Botschaft telefonisch in meinem Büro und forderte mich auf, den Antrag unverzüglich zurückzuziehen und den Tagesordnungspunkt abzusetzen. Die Plenardebatte fand natürlich statt und wurde von allen demokratischen Abgeordneten mit großer Ernsthaftigkeit geführt. Unmittelbar danach erhielten die Fraktionen eine „Stellungnahme“ der chinesischen Vertretung, in der diese dem Bundestag und der Bundesregierung eine „ernsthafte Demarche“, also eine förmliche Protestnote, entgegenbrachte. Die „Vorwürfe“ seien falsch und willkürlich und stellten eine „eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten und eine grobe Verletzung der Souveränität Chinas dar.“ Bundestagspräsident Schäuble sah sich daraufhin veranlasst gegenüber der chinesischen Regierung die Freiheit des Parlaments zu verteidigen.

Alle Einladungen des Menschenrechtsausschusses an den chinesischen Botschafter zur Diskussion mit den Ausschussmitgliedern, wurden von diesem abgelehnt bzw. mit dem Hinweis auf unerwünschte Aktivitäten des Gremiums abgesagt. Dadurch sei die „Grundlage für den Dialog zwischen uns beschädigt worden“, hieß es beispielsweise in einem Brief des Botschafters an die Ausschussvorsitzende anlässlich einer Anhörung zur völkerrechtlichen Bewertung der Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren. Regelmäßig erreichten uns schriftliche Beschwerden, Beschimpfungen und nachdrückliche Ermahnungen, uns mit unserer Menschenrechtsarbeit nicht in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik einzumischen.

Den Höhepunkt der „Dialogbereitschaft“ erlebte ich im Sommer 2019 als ich mit dem Digitalausschuss nach China reisen sollte. Die chinesische Botschaft teilte dem Ausschusssekretariat unmissverständlich mit, dass es nur dann eine Einreise für die Delegation geben werde, wenn ich von der Liste gestrichen würde. Eine Begründung dafür gab es nicht. Die Informationsfahrt wurde daraufhin im Einvernehmen der demokratischen Fraktionen abgesagt: der Bundestag lasse sich nicht erpressen. Als einzigem Gremium des Deutschen Bundestages wird im Übrigen dem gesamten Menschenrechtsausschuss ein Besuch der Volksrepublik bis heute verweigert.

Menschenrechte im Dialog

Die Bundesregierung unterhält eine Fülle regelmäßiger Dialogformate mit der Volksrepublik China, eines der bekanntesten - und umstrittensten - ist der deutsch-chinesische Menschenrechtsdialog. Er zeichnet sich dadurch aus, dass schon allein über die Frage ob und wann er stattfinden soll, regelmäßig Konflikte entstehen. Von chinesischer Seite wird die Bereitschaft zur Durchführung des Menschenrechtsdialogs immer wieder als Druckmittel eingesetzt um Kritik abzustrafen und Wohlverhalten der deutschen Seite zu erreichen. So wurde der Austausch 2017 von Peking abgesagt, weil Deutschland sich im UN-Menschenrechtsrat kritisch zu China geäußert hatte. Auch 2019 ließ die KP das Treffen platzen, weil der damalige Außenminister Heiko Maas sich kurz zuvor mit dem Hongkonger Bürgerrechtler Joshua Wong hatte fotografieren lassen. So wichtig es ist, gerade über die Einhaltung der Menschenrechte im Dialog zu bleiben, Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren und die Universalität der Menschenrechte zu verteidigen, so sehr stellt sich die Frage, ob der Menschenrechtsdialog in seiner jetzigen Form dazu das geeignete Mittel ist. Im Rahmen der derzeit in Arbeit befindlichen neuen China-Strategie des Auswärtigen Amtes erscheint es mir wichtig, die unübersichtliche Anzahl von bis zu 80 Dialogformaten zu evaluieren, auf den Prüfstand zu stellen und strategisch neu auszurichten. Grundlage müssen dabei die universelle Gültigkeit der Menschenrechte sowie die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein. Kritische Gesprächsthemen dürfen nicht mit Tabus belegt oder ausgeklammert werden. Das hat nichts mit Einmischung oder angeblicher moralischer Überheblichkeit zu tun, sondern gründet sich auf die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge sowie auf unsere Verpflichtung gegenüber unseren Werten und unsere Verantwortung gegenüber den Opfern menschenverachtender Politik. Insbesondere darf der Menschenrechtsdialog nicht dazu missbraucht werden, die Universalität, Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte in Frage zu stellen. Die KP China versucht seit längerem und zunehmend aggressiv ihre eigene Vorstellung von Menschenrechten zu verbreiten und in internationalen Gremien durchzusetzen. Ziel ist, die globalen Menschenrechtsstandards aus chinesischer Sicht neu zu definieren. So soll das Recht auf Entwicklung Vorrang vor allen anderen Rechten haben, die individuellen und politischen Freiheitsrechte werden als westliche Ideologie diskreditiert, während die sozialen und wirtschaftlichen Rechte in den Mittelpunkt rücken. Die „Existenzsicherung“ des Volkes steht in dieser Definition klar über den Grundrechten des Einzelnen.

Im Menschenrechtsdialog geht es mithin nicht um einen unverbindlichen Austausch über unterschiedliche Perspektiven, sondern hier zeigt sich der fundamentale Systemkonflikt zwischen unserem demokratischen System und dem totalitären Regime Xi Jinpings in aller Schärfe. Im Kern dieses Konflikts stehen die Idee der Freiheit und die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte.

Dialog und Härte

Außenministerin Annalena Baerbock hat ihre Politik gegenüber autoritären Regimen auf den Begriff „Dialog und Härte“ gebracht. Was das jeweils konkret bedeutet, muss sicher noch ausbuchstabiert werden. Aber spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und angesichts der massiven Krisen, in die uns unsere Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gebracht hat, müssen wir schnellstens aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und unsere Politik neu ausrichten. Dies gilt auch und vor allem mit Blick auf China. Die Hoffnung auf Wandel durch Handel ist gescheitert - nicht erst seit dem 24. Februar 2022. Ganz oben auf der Agenda stehen deshalb die gezielte Reduzierung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die Diversifizierung der Lieferketten, der Schutz unserer kritischen Infrastruktur sowie der Aufbau europäischer Resilienz. Die Europäische Union beginnt sich gerade auf ihre Stärken zu besinnen und ihre Instrumente zu schärfen. Das Importverbot von Produkten aus – nicht nur – chinesischer Zwangsarbeit ist dabei ein wichtiger Schritt.

Dialog ist unersetzbar und unverzichtbar. Der kulturelle, wissenschaftliche oder zivilgesellschaftliche Austausch ist dabei ebenso wichtig wie das Gespräch zwischen Staatspräsident:innen. Kritiklose Beziehungen allerdings, egal ob im Bereich der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Politik dienen Diktatoren zur Legitimation ihrer Herrschaft nach innen und außen. Im schlimmsten Fall machen sich Unternehmen, Universitäten oder politische Vertreter:innen zu Komplizen der Unterdrückung.

Deshalb setzt Dialog mit autoritären Regimen Konfliktfähigkeit und Konfliktbereitschaft voraus. Grundlage dafür ist, dass wir unsere eigenen Werte ernst nehmen und bereit sind danach zu handeln.


Über die Autorin


 


Margarete Bause, geboren 1959, ist Sozialwissenschaftlerin und lebt in München.

Sie war für Bündnis 90/Die Grünen 18 Jahre Landtagsabgeordnete in Bayern, davon 13 Jahre Fraktionsvorsitzende. Von 2017 bis 2021 war sie Bundestagsabgeordnete.

Als Mitglied im Menschenrechtsausschuss beschäftige sie sich intensiv mit der Menschenrechtssituation in China und engagierte sich für die Rechte der Uiguren und Tibeter. Die chinesische Regierung setzte sie auf die Liste der unerwünschten Personen und verweigert ihr die Einreise nach China.