Deutsch-Chinesisches Dialogforum
2023

Ariane Reimers


Die deutsch-chinesischen Beziehungen in Trümmern? So weit ist es glücklicherweise noch nicht. Aber es ist unbestritten, dass die noch vor wenigen Jahren so vertrauensvolle Partnerschaft heute auf dem Prüfstand steht. Dabei ist es längst nicht mehr vorstellbar, die Welt ohne die Großmacht China zu denken. Das Land – seine Geschichte, seine Menschen, seine Leistungen und Erfindungen ziehen einen unweigerlich in ihren Bann. Zur Faszination und Begeisterung hat sich in den letzten Jahren leider die Sorge gesellt, dass sich die politische Führung Chinas für einen Weg entscheidet, der nicht auf Austausch und Dialog ausgerichtet ist, sondern auf Isolation und Machtsicherung.

Ich hatte das Glück, China in den Jahren vor Ort erlebt zu haben, die von beiderseitiger Neugier und Offenheit geprägt waren. Die Zeit vor den Olympischen Spielen 2008, die Jahre danach: Ein Land – so groß und vielfältig wie Europa. Ein Land in Aufbruchsstimmung, voller Ideen, mit großem Fortschrittsoptimismus und viel Wissensdurst.

Die deutsche Gemeinschaft im Wachsen, die Deutsche Schule auf der Suche nach neuen Standorten, deutsche Unternehmen auf Expansionskurs. Auch Studierende interessierten sich mehr und mehr für China – weil Chinakenntnisse in der Wirtschaft zunehmend sehr gefragt waren. Ein Praktikum in China war recht einfach zu organisieren, die Reisekasse ließ sich mit Englischunterricht aufbessern.

China machte neugierig. Das zeigten auch die Zahlen touristischer Reisen, die 2012 ihren Höhepunkt fanden – mit mehr als 659.000 Einreisen deutscher Staatsbürger nach China. Wer wollte, konnte das Land auf eigene Faust bereisen und erkunden – und die Vielfältigkeit Chinas kennenlernen. Nur für Tibet galten besondere Bestimmungen.

Das China der Menschenrechtsverletzungen, der unterdrückten Minderheiten, der Überwachung und Kontrolle, der Bürgerrechtsaktivisten in Gefängnis und Hausarrest, das gab es auch. Aber es gab auch „work arounds“ – Möglichkeiten, Regeln zu umgehen, sie zu ignorieren. Und vor allem – es gab die Hoffnung – nicht nur vieler Deutscher, sondern auch vieler Chinesinnen und Chinesen, langsam, ganz langsam würde sich zum wirtschaftlichen Aufstieg auch eine zivilgesellschaftliche, politische Öffnung gesellen. Anzeichen gab es dafür einige.

Etwa in den Kunst- und Kulturszenen der chinesischen Metropolen: Versteckte und offene Kritik an der Einparteienherrschaft, eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngeren maoistischen Geschichte, der Hungerkatastrophe, die dem „Großen Sprung nach vorn“ folgte, der Kulturrevolution, auch deutliche Anspielungen auf die blutige Niederschlagung der Proteste rund um den Tiananmen im Juni 1989. Oder in den offenen Diskussionen an chinesischen Universitäten. Oder in ersten Anzeichen für eine zunehmende Rechtsstaatlichkeit. Enteignete Bürger wurden an einigen Orten zumindest teilweise entschädigt, sie konnten vor Gericht z.T. Recht erstreiten. Im Internet, vor allem im Kurznachrichtendienst Weibo, wurden politische Diskussionen geführt, korrupte Kader kritisiert und angeprangert, Umweltskandale aufgedeckt. Gleichzeitig entdeckten viele reisebegeisterte Chinesen die Welt, ein Studium in Europa, Australien oder den USA gehörte zu den Karrierebeschleunigern der chinesischen Jugend. Die erstarkende und aufstrebende Mittelschicht begann die Gewohnheiten und Hobbies ihrer westlichen Counterparts anzunehmen, zu sinisieren und schließlich selbst Trends zu setzen, die wiederum anderswo aufgenommen wurden.

Es waren Jahre, in denen die Zahl von Dialog- und Austauschformaten zunahm, in denen es vor allem auch um die beiderseitige Erkenntnis ging, dass sich die Welt auch aus einer anderen Perspektive betrachten lässt – die Grundlage für Akzeptanz, Toleranz und gegenseitige Wertschätzung.

Im Rückblick lässt sich sagen – mit der Machtübergabe an Xi Jinping kam der Rollback. Schlupflöcher wurden geschlossen, Freiräume eingeschränkt. Die Ideologie hielt wieder verstärkt Einzug in den Alltag, in die Erziehung, in die Öffentlichkeit, in die Kultur. Mit Gesetzen und Zensoren wurden die kleinen Pflänzchen der freien Meinungsäußerung im Internet zertreten. Die Visumsvergabe wurde restriktiver, nicht mehr ausländische Experten sollten in den Unternehmen arbeiten, keine Praktikanten mehr, keine studentischen Englischlehrer. Die organisierten Austauschformate wurden immer hölzerner, phrasenhafter. Covid hat diesen Prozess weiter beschleunigt und die gewachsenen Bande nachhaltig beschädigt. Nun wählt China einen Weg, der die Selbstisolation weiter vorantreibt. Einer jahrzehntelangen Öffnung folgt die Ab-schließung des Landes. Dabei ist der Austausch so wichtig.

Es ist eine Illusion, dass eine nachhaltige Partnerschaft allein auf erfolgreichen Wirtschaftsbeziehungen aufbauen kann. Früher oder später können Probleme nicht mehr gelöst werden, weil die interkulturellen Fähigkeiten fehlen, die zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit notwendig sind. Außerdem müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen, die wiederum ebenfalls auf einem ganzen Geflecht von diplomatischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen ruhen.

Je weniger aber durch persönliche Kontakte, eigene Erfahrungen im jeweilig anderen Land und Austausch gefestigt wird, desto stärker zementieren sich schwarz-weiß-Positionen und Haltungen, da die Korrektur durch die eigene Erfahrung wegfällt. Auf beiden Seiten.

Die Wiederannäherung nach Covid kann und sollte durch den Ausbau persönlicher Beziehungen und gegenseitiger Besuche gestärkt werden. Das kann aber nur dann von Erfolg gekrönt werden, wenn eine neue Offenheit auch gewollt ist, wenn die Visums- bzw. Passvergabe weniger restriktiv gehandhabt würde, wenn Individualreisen in beide Richtungen möglich sind und wenn der zivilgesellschaftliche Austausch beider Länder auf allen Ebenen neu angekurbelt wird. Die Realität sieht leider anders aus.


Über die Autorin



Ariane Reimers, ARD-Journalistin, Merics-Fellow, Mitglied des deutsch-chinesischen Dialogforums, war seit 2004 regelmäßig in China. ARD-Korrespondentin in Peking von 2010-2015.